Die wichtigsten Fakten zum multilateralen TiSA-Abkommen

  1. Was heißt TiSA?

Trade in Services Agreement =  Multilaterales Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (Dienstleistungen im Folgenden abgekürzt: DL)

  1. Wer verhandelt das TiSA?

Eine Gruppe von 51 Staaten (von 164 der WTO), das sind 23 Länder plus die EU mit ihren  28 Einzelstaaten (EU-Kommission ist federführend in Handelsfragen, wie beim in Kraft befindlichen CETA mit Kanada).

Ursprünglich Initiative der USA und Australiens (wg. deren besonderer Geschäftsinteressen im DL-Bereich).

  1. Woher haben NGOs und Freihandelskritiker ihr Wissen?

TiSA ist das am besten geleakte Freihandelsabkommen im Vergleich CETA, TTIP & Co., dank Wikileaks, Greenpeace und Bilaterals.org.

  1. Welche Länder verhandeln das TISA?

EU, Norwegen, Island, Schweiz, Liechtenstein, USA, Kanada, Mexiko, Costa Rica, Panama, Kolumbien, Peru, Paraguay, Chile; Türkei, Israel, Pakistan; Australien, Neuseeland, Hongkong, Taiwan, Südkorea, Japan und Mauritius

  1. Seit wann und wo wird das TiSA verhandelt?

Seit 2014 in Genf, Schweiz (auch Sitz der Welthandelsorganisation, engl. WTO)

  1. Wie ist der Verhandlungsstand?
  • Zur Zeit „tiefgefroren“ (Greenpeace, 2/2017), ähnlich wie bei TTIP
  • 2017/18:  EU wartet nur ab, TISA kann wieder aufleben, gilt faktisch als „ausverhandelt“
  • TiSA ohne die USA (Letztere ohne konkrete Aussagen)? Trump bevorzugt vmtl. BITs (bilaterale Investitionsabkommen)
  • Wie von einigen irrtümlich angenommen, sind Kultur und Bildung nicht ausgenommen (s.u. Liste)
  • TiSA-Text noch „nicht übersetzungsfähig“ (Ende 2016, Greenpeace), Grund unklar
  • Kapitel zu Gender Equality (Geschlechtergleichheit) fehlt
  1. Warum wollen die o.g. Staaten das TiSA?
  • Die TiSA-Staaten sind eine „Koalition der Willigen“ und nennen sich selbst „Really Good Friends of Services“ (Wirklich Gute Freunde der Dienstleistungen)
  • Ausgangspunkt ist der Umstand, dass – wie viele andere Handelsverträge auch – das TiSA eine Reaktion „ungeduldiger“ Staaten auf den langjährigen Stillstand der Doha-Runde der Welthandelsorganisation ist
  • Bei der letzten WTO-Ministerkonferenz in Bali im Dezember 2013 war lediglich eine Einigung auf sehr wenige Punkte gelungen, darunter eine erleichterte Zollabfertigung
  • Diesen Kompromiss aber hatte Indien im Juli 2014 blockiert, weil die Industriestaaten bei Subventionen, die Entwicklungsländer für die Ernährungssicherheit aufwenden, Zugeständnisse verweigert hatten
  • Zu den umstrittenen Punkten der Doha-Runde hatten auch die Dienstleistungen gehört, deren Liberalisierung durch das WTO-Abkommen GATS (General Agreement on Trade in Services) vorangetrieben werden soll.
  1. Wer gibt im TiSA den Ton an?
  • Anstoß kam von Industriegruppen, die die Doha-Blockade umgehen wollten: Mehrere nationale Koalitionen von DL-Konzernen schlossen sich zur „Global Services Coalition“ zusammen und forderten schon 2011 die Aufnahme plurilateraler DL-Verhandlungen
  • Führend in diesem Konzernclub sind in der EU das European Services Forum (ESF), in den USA die Coalition of Services Industries (CSI)
  • Unter den ESF-Mitgliedern finden sich neben dem Arbeitgeberverband Business Europe mehrere Großkonzerne wie Siemens, Deutsche Bank, Microsoft, IBM, Vodafone und Veolia
  1. Was ist Verhandlungsgegenstand?

TiSA umfasst ein breites Spektrum von DL, das sowohl privatwirtschaftliche Bereiche wie auch die öffentliche Daseinsvorsorge wie Bildung, Gesundheit und Stadtwerke erfasst. Das erste Liberalisierungsangebot vom November 2013, das die EUK veröffentlichte, vermittelt einen Eindruck von dem breiten Anwendungsbereich des Vertrags. Das Angebot enthält den Entwurf einer Verpflichtungsliste, die die DL in 15 Sektoren gruppiert:

  • Unternehmens-DL
  • Kommunikations-DL
  • Bau- und Ingenieurs-DL
  • Vertriebs-DL
  • Bildungs-DL
  • Umwelt-DL
  • Finanz-DL
  • Gesundheits- und soziale DL
  • Tourismus- und Reise-DL
  • Erholungs-, Kultur- und Sport-DL
  • Transport- und Transport begleitende DL
  • Andere [?] Transport-DL
  • Energie-DL
  • Andere DL

Weitere Aufgliederung dieser Sektoren, so  

  • der Unternehmens-DL in zahlreiche freie Berufe wie Anwälte, Steuerberater, Ärzte, Hebammen,
  • der Kommunikations-DL in Post- u. Telekommunikation
  • der Vertriebs-DL in Groß- u. Einzelhandel
  • der Umwelt-DL. in Klärwerke u. Müllentsorgung
  • der Finanz-DL in Versicherungen u. Banken (Exkurs: Kommunale Geldinstitute / Genossenschaftsbanken)

Bedeutung des TiSA für den kapitalistischen Welthandel ist enorm:

Beteiligte Staatengruppe bedient rund 70% des Weltmarkts an DL, in der EU macht der DL-Handel sogar 75% des BIP (= 10.9 Billionen Euro) aus

  1. Was ist das Ziel der DL-Liberalisierung?
  • Öffnung neuer Märkte für global operierende „Investoren“(= i.d.R. multinationalen Konzernen)
  • Schaffung neuer Investitionsmöglichkeiten für brachliegendes Kapital / Überakkumulation infolge der langjährigen Explosion des Finanzsektors drängt nach neuen Anlagesphären im DL-Sektor (Privatisierungsdruck als spürbare Folge)
  • Beseitigung sog. Marktzugangshemmnisse wie öffentliche Monopole (z.B. in F: SNCF, D: Post und Bahn)
  • wirtschaftliche Bedarfstests
  • mengenmäßige Zulassungsbeschränkungen oder Deckelungen ausländischer Kapitalbeteiligungen
  • Anwendung des Prinzips der sog. Inländerbehandlung (ausl. Anbieter einer DL dürfen „nicht ungünstiger“ als inländische Anbieter behandelt werden): Damit gilt die Bevorzugung eines lokalen, gemeinnützigen oder [z. B. im Umweltschutz führenden] öffentlichen Unternehmens als TiSA-Verstoß – es sei denn, den Vertragsparteien gelingt es, sich bestimmte Ausnahmen vorzubehalten (stehen oft im Mittelpunkt solcher Verhandlungen, d.h. jede Partei kritisiert die Ausnahmen der anderen Parteien, um die Exportinteressen eigener Anbieter / Konzerne/“Investoren“ zu bedienen .
  1. Die verflixten Termini: Verpflichtungslisten, Positiv- und Negativlisten, Hybridlisten, Standstill- und Ratchet-Klauseln
  • Viele TiSA-Regeln finden sich auch in anderen FHA (CETA): Es geht darum, zukünftige Handlungsspielräume der Vertragsparteien einzuengen, wie z.B. die Verpflichtungslisten, d.h. Listen über die dem Markt zu öffnenden Bereiche)
  • TiSA folgt dem sog. Hybridansatz, d.h. einer Kombination aus einer Positiv- und einer Negativliste:
  • Eine Positivliste ähnelt dem GATS-Modell und führt im Abkommen nur jene Felder auf, in denen die Parteien (Vertragsländer) zu Liberalisierungen bereit sind (relativ transparentes Modell)
  • Eine Negativliste dagegen (wie im CETA!) unterwirft automatisch alle nicht aufgeführten Bereiche von DL der Liberalisierungspflicht, auch künftig neu entstehende DL; d.h. was nicht liberalisiert werden soll, ist hier explizit aufzuführen (Ansatz „list it or lose it“, sehr intransparent).

Aber:

Ein Großteil der Ausnahmen von der Inländerbehandlung unterliegt den Prinzipien des „Standstill“ und des „Ratchet“, zweier spezieller Klauseln:

  • Standstill: die Beschränkungen des Marktzugangs fixieren den rechtlichen Status quo = hinter das derzeit erreichte Maß an Liberalisierung darf nicht mehr zurückgegangen werden [z.B. DB AG: könnte nicht mehr zu 100% in Bundeseigentum wie die zurzeit noch die Bundesautobahnen zurückgeführt werden; Airport Köln/Bonn: nach geplantem Verkauf der Bundesanteile an ein privates Großunternehmen kein Rückkauf durch den Bund oder Kommune Köln mehr möglich]
  • Ratchet („Sperrklinke“): fordert, dass auch künftige Liberalisierungen automatisch zu TiSA-Verpflichtungen werden müssen, die später nicht revidiert werden dürfen (z.B. wäre dann die Rekommunalisierung privater Wasserversorger per Bürgerentscheid ein Verstoß gegen das TiSA)
  1. Was passiert im Streitfall?
  • Derzeit ist der Streitbeilegungsmechanismus des TiSA noch unklar. Manche Parteien (Schweiz z.B.) wünschen eine Anlehnung an den WTO-Schiedsmechanismus mittels Staat-Staat-Klageverfahren vor einem WTO-Gericht
  • Soll TiSA später leichter multilateralisieren (auf weitere Staaten ausdehnen)
  • Keine TISA-Partei will bisher einen ISDS-Mechanismus (Investor-State-Dispute-Settlement = Konzern kann Staat auf Schadenersatz für Gewinnverluste verklagen, wie im CETA)
  • Konzernmacht kann aber auch ohne ISDS eine Regierung zur Nutzung des Staat-Staat-Verfahrens drängen, um gegen missliebige Auflagen anderer TiSA-Parteien (also eines bestimmten TiSA-Vertragsstaates, in dem ein Global Player in einem DL-Bereich gewinnträchtige Investitionen vornehmen will) vorzugehen
  1. Welche besonders hervorzuhebenden Folgen hat das TiSA für die öffentliche Daseinsvorsorge und bürgernahe DL sowohl in Europa als auch in Dritt- und EL (EL = Entwicklungsländer)?
  • EU will TiSA in ein WTO-konformes Abkommen überführen und später in den Bestand der WTO-Verträge integrieren, d.h. auf alle 164 WTO-Mitgliedsstaaten übertragen (!)
  • Haken:

Die EU müsste dann die präferenziellen [privilegierten] Marktzugänge, die die TiSA-Länder sich wechselseitig gewähren, auf sämtliche WTO-Länder ausdehnen

  • Dazu aber sind EU und USA wiederum nicht bereit, weil sie nur jenen Ländern Marktzugänge einräumen, die auch selbst TiSA-Liberalisierungen übernehmen, und nicht allen WTO-Staaten
  • Zentrales Ziel der EU bleibt dennoch, den Teilnehmerkreis am TiSA zu erweitern (es fehlen z.B. die großen Schwellenländer, wie Brasilien, Indien und China, und auch viele EL, darunter erklärte Kritiker des Abkommens
  • China allerdings stellte 2013 einen Aufnahmeantrag an die TiSA-Staatengruppe (wurde v.a. von USA und Kanada aus Angst vor einer Verwässerung des angestrebten hohen Liberalisierungsniveaus blockiert)

 

Fazit:

1. TiSA wird …

  • unsere Fähigkeit unterminieren, Gesetze im öffentlichen Interesse zu erlassen, wie z.B. verbindliche Umweltstandards
  • Regierungen darin beschränken, privatisierte Dienste wie Gesundheitsleistungen und Bildung in öffentliche Kontrolle zurückzuführen
  • unsere Fähigkeit behindern, den Finanzsektor zu regulieren (trotz weltweitem Crash 2008 ff.!)
  • dem Schutz privater Daten und einem offenen und freien Internet schaden
  • den hochwichtigen Klimaschutz (u.a. die Ergebnisse des COP 21-23) unterlaufen

2. Koalition der Willigen strebt mit TiSA einen überaus weitreichenden multilateralen Vertrag mit umfassenden Liberalisierungsverpflichtungen an: Alle Länder, die nach dessen Inkrafttreten beitreten wollen, müssen ihre Dienstleistungsmärkte in vergleichbarer Weise öffnen

3. Die TiSA-Koalition setzt damit eine neue, globale Norm für den internationalen DL-Handel

4. Diese Norm bedroht v.a. EL, die aus guten Gründen (Schutz der eigenen Bevölkerung) bisher nur wenige Liberalisierungsverpflichtungen unter dem GATS-Regime übernommen haben

5. Indem die EU und andere Länder der „wirklich guten Freunde der DL“ zukünftig in bilateralen Freihandelsverträgen mit EL das TISA-Liberalisierungsniveau als Maßstab anlegen, würde TISA nach seiner Ratifizierung „die Privatisierung der Daseinsvorsorge auch im  globalen Süden forcieren und gerade einkommensschwachen Gruppen den Zugang zu unverzichtbaren Basisdienstleistungen wie Gesundheit, Bildung und Wasser verbauen“ (Thomas Fritz)

 

Quellen:

Fritz, Thomas. TTIP, CETA, TiSA: Die Kapitulation vor den Konzernen. Eine kritische Analyse der geplanten Handelsverträge mit den USA und Kanada und des Dienstleistungsabkommens TiSA. Powershift e.V., Attac-D., Verdi Bayern, BUND, Europäische BI Stopp TTIP (Hg.). Berlin, 2014

www.tisauncovered.org
www.greenpeace.de
www.attac.de

 

Text zusammengestellt von:

Hans-Jürgen Kleine ( Attac-Köln / Kölner Bündnis für gerechten Welthandel)
Kontakt:  0171 165 2004

 

Stand: März 2018