Kurzbericht zum Europäischen Strategietreffen in Brüssel vom 10./11. Mai 2017

„CETA eine Niederlage bereiten, die neoliberale Handelsagenda bekämpfen, Alternativen schaffen“ – Brüsseler Strategietreffen (10.-11.05.2017) europäischer NGOs und sozialer Bewegungen diskutiert Lage nach CETA-Vote im Europaparlament und will Alternativen zum Freihandel aufzeigen

Im Vordergrund des Treffens stand die Antwort auf die Frage, wo wir Mitte 2017 politisch stehen und wie das europäische Netzwerk momentan arbeitet; ferner die Klärung der Frage, wie das CETA-Abkommen mit Kanada auf der Ebene der EU-Mitgliedstaaten doch noch gestoppt werden kann; schließlich die Einschätzung des von der EU vorgeschlagenen Multilateralen Investitionsgerichtshofs (MIC) und die Frage nach Alternativen zur gängigen EU-Handels und Investitionspolitik. In einem Fragebogen, der vor dem Treffen online ausgefüllt werden konnte, hatte es die Möglichkeit gegeben, sich vorab zu einigen wichtigen Punkten zu äußern, um die Diskussion auf dem Kongress besser strukturieren zu können.

Zur interessanten Bilanz der Auswertung lässt sich folgendes sagen:  

Die FreihandelskritikerInnen haben es geschafft,  den herrschenden Freihandelsdiskurs in der Öffentlichkeit durch ihre Kritik in starkem Maße zu beeinflussen und ihre Gegenargumente zu Gehör zu bringen; TTIP wurde als „giftig“ entlarvt;  eine europäische (Protest-)Bewegung konnte aufgebaut werden; Handelspolitik musste transparenter gemacht werden (zahlreiche Leaks trugen dazu bei); in Institutionen und verschiedenen sozialen Bereichen fanden sich neue Bündnispartner. Negative Erscheinungen sind die Übernahme unseres Diskurses durch die europäische extreme Rechte und die nicht überall gelungenen Mobilisierungen (starke Unterschiede in den Staaten). Auf der Ebene der Koordination müssen als Erfolge genannt werden: Der Informationsfluss untereinander, die Koordination der Lobbyarbeit, gut gelaufene Webinare, die Bereitstellung von aufklärendem Infomaterial für unsere eigene Arbeit, die sEBI-Unterschriftensammlung, Aktionstage und Trainings. Für über die Hälfte der Teilnehmenden an der Fragebogenaktion haben die CETA-Ratifizierung und das Thema MIC (Multinationaler Investitionsgerichtshof) auf nationaler Ebene Priorität; ein Drittel befürwortet stark die Alternativendebatte; ein Viertel plant, an der allgemeinen EU-Handelsagenda zu arbeiten; die meisten Rückantworten schließlich beziehen sich auf die Abkommen JEFTA, MERCOSUR, TISA und MEXIKO, mit denen sich künftig vorrangig beschäftigt wird.

Alternativen zur EU-Handelspolitik:

Rund die Hälfte der Antworten bestätigt, dass sich viele AktivistInnen in irgendeiner Weise bereits mit Alternativen beschäftigt. Einzelne und auch Gruppen arbeiten gegenwärtig an einer übergreifenden Vision für eine andere Handelspolitik, an sog. roten Linien, an spezifischen Themenbereichen wie Landwirtschaft, Umwelt, Tierwohl, an Regionalabkommensentwürfen wie den EPAs und mit Lateinamerika, an verbindlichen Verträgen zur Sicherung der kommunalen Daseinsvorsorge. Der Wissensvermittlung über die Gefahren des Freihandels und dem Aufbau von Allianzen und Netzwerken gegen CETA und TTIP wird ein ebenso hoher Rang eingeräumt wie der solidarischen Kooperation und der Entwicklung einer Strategie gegen die politische Rechte.

Zum laufenden CETA-Ratifizierungsprozess und der strategischen Orientierung:

Die beim beschriebenen Treffen vorgelegte Zusammenfassung und (vorläufige) Auswertung des laufenden Ratifizierungsprozesses in den einzelnen EU-Ländern ergibt ein sehr zwiespältiges Bild. Die folgende Einteilung sicher subjektiv, sollte aber genügen, Mitte 2017 eine ungefähre Tendenz erkennen zu lassen:

  1. Länder, in denen (mehr oder weniger gute) Chancen bestehen, dass CETA dort nicht ratifiziert wird
  2. Belgien (Wallonie legt sich quer zum CETA, Gefahr durch Koalitionsbruch seitens der CDA, Belgien wird vmtl. noch Feststellungsklage beim EuGH auf Konformität mit EU-Recht einreichen)
  3. Deutschland (im Bundesrat hat CETA keine „rechnerische“ Mehrheit, Gefahr durch „Umfallen“ maßgeblicher Grünen-PolitikerInnen)
  4. Niederlande (CETA kann rein theoretisch durch Plebiszit gestoppt werden, Gefahr durch rechtlich mögliches Übergehen des Ergebnisses seitens Haager Regierung)
  5. Slowenien (Regierung will EuGH anrufen wegen ICS)
  6. Spanien (eventuell Anrufung des Verfassungsgerichts, PSOE müsste zustimmen, unklar)
  7. Griechenland (Differenzen zwischen SYRIZA-Partei und Zentralministerien, die pro CETA sind)
  8. Länder, in denen die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass ihre Parlamente CETA ratifizieren
  9. Kroatien (kaum Widerstand, sieht mau aus)
  10. Italien (keine Infos)
  11. Ungarn (völlig unklar)
  12. Portugal (Ratifizierung steht bevor)
  13. Polen (Ratifizierung Ende 2017/ Anfang 2018 geplant, Chancen auf Nein stehen schlecht, unspezifizierter Protest aus Zivilgesellschaft)
  14. Litauen (Ratifizierung in diesem Sommer geplant, geringe Chance auf Anrufung des Verfassungsgerichts)
  15. Irland (beide Hauptparteien pro CETA)
  16. Frankreich (Macron will CETA, hat jetzt auch Parlamentsmehrheit)
  17. Finnland (Votum vmtl. Ende August 2017, Mehrheit pro)
  18. Dänemark (Votum evtl. am 1. Juni 2017 !?, Mehrheit so gut wie sicher)
  19. Zypern (Votum in diesem Sommer, 29 Nein-Stimmen nötig, zur Zeit nur 20 dagegen)

 

Alternativendebatte vertieft:

Anstatt die beim Brüsseler Stategietreffen geführte Alternativendiskussion hier im Einzelnen wiederzugeben, weisen wir im Folgenden auf Websites und Artikel hin, die verschiedene (teils in Englisch verfasste) Visionen einer demokratischen, sozialen und umweltfreundlichen Handelspolitik präsentieren, bzw. alternative Entwürfe, die von NGOs, Juristen und ExpertInnen  geschrieben wurden.

Ein Teil davon wurde auf dem Kongress vorgelegt:

  • www.globaljustice.org.uk/   Ten alternatives to a corporate trade agenda. What a democratic UK trade policy after Brexit would look like, June 2017
  • www.systemicalternatives.org Vivir bien. Notes for the Debate, 2014
  • www.cidse.org/ Krajewski, Markus. Ensuring The Primacy Of Human Rights In Trade And Investment Policies. Model clauses for a UN Treaty on transnational corporations, other businesses and human rights. University of Erlangen-Nürnberg, 2017
  • www.forumue.de/ Hin zu einem alternativen Handelsmandat für die EU, 2017
  • www.alternativetrademandate.org / Trade: time for a new vision. The Alternative Trade Mandate, 2013

 

Hans-Jürgen Kleine